A3..1 Albinos

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Albino-Verfolgung in Afrika
Aberglaube an die Kräfte der „weißen Schwarzen“

In Afrika werden den Körperteilen von Albinos magische Kräfte nachgesagt. In Tansania sollen daher im vergangenen Jahr rund dreißig von ihnen getötet oder verstümmelt worden sein, mit ihren Körperteilen wird reger Handel betrieben. Der neue Hexenwahn ist eine Reaktion auf den sozialen Wandel.
08.04.2009, von Andreas Eckert

 

In Tansania leidet ein Bürger unter dreitausend unter Albinismus. Eine genetische Störung sorgt dafür, dass die Körper dieser Menschen den Pigmentstoff Melanin bestenfalls in geringen Mengen produzieren können. Albinos haben hellere Haar-, Augen- und Hautfarbe und reagieren besonders empfindlich auf Sonneneinstrahlung. Das Hautkrebsrisiko ist außerordentlich hoch, ebenso wie die Gefahr, früh zu erblinden. In den meisten afrikanischen Gesellschaften sind Albinos Außenseiter. Sie haben es sehr schwer, eine Ausbildung und eine Arbeitsstellte zu bekommen, weil viele Afrikaner Albinismus für ansteckend halten. Zugleich gelten die „weißen Schwarzen“ vielerorts als unsterbliche Geister, oder man glaubt, sie seien von Dämonen besessen. Ihr Schicksal ist seit kurzer Zeit stärker in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit gerückt. Denn allein in Tansania sollen im vergangenen Jahr rund dreißig Albinos getötet oder verstümmelt worden sein.

Damit nicht genug: Mit den Körperteilen der Ermordeten wird offenkundig ein reger Handel betrieben. Beinen, Genitalien, Augen und Haaren von Albinos werden große Heilkräfte nachgesagt, der Konsum ihres Blutes verheißt vermeintlich Wohlstand. Die tansanischen Zeitungen überbieten sich derzeit in ihren Darstellungen über grauenhafte Ereignisse. Angeblich werden von Käufern aus benachbarten Ländern wie Kongo, Burundi, Kenia und Uganda bis zu sechzigtausend Dollar für eine Albino-Leiche geboten. So berichtete die „Daily News“ über die Festnahme eines Fischers vom Tanganjikasee, der versucht hatte, seine Albino-Frau an zwei kongolesische Geschäftsleute zu verhökern. In einem anderen Fall wurde eine Siebzehnjährige vor den Augen der Mutter ermordet, der Leiche wurden die Beine abgeschnitten.

Exotikerwartungen des westlichen Publikums

Ins Visier der tansanischen Regierung geraten mehr und mehr die sogenannten traditionellen Heiler, die häufig mit Hexenglauben in Verbindung gebracht werden. Premierminister Pinda hob alle staatlichen Lizenzen für die Heiler auf, die er verdächtigt, den Glauben an die heilende Wirkung von Albino-Körperteilen anzufachen. Überdies empfahl er, jeden Mörder eines Albinos auf der Stelle umzubringen.

Ausgegrenzt und Opfer von Aberglauben - Albinos fürchten um ihr Leben © picture-alliance/ dpa
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In Tansania leidet ein Bürger unter dreitausend unter der Erbkrankheit Albinusmus

Sind die jüngsten Ermordungen der Albinos ein Beleg dafür, dass viele Afrikaner noch immer dem Aberglauben anhängen und regelmäßig ihrem Atavismus freie Bahn lassen? Gegen solche Thesen von der grausamen Primitivität des Kontinents schreiben Afrika-Wissenschaftler seit langem an. Es reiche in diesem Fall jedoch nicht aus, meint der Vorsitzende der nordamerikanischen „Tanzania Studies Association“, James Brennan, die akademische Standardantwort abzuspulen - dass über die Ermordungen der Albinos nur deshalb in den westlichen Medien berichtet werde, weil sie die Exotikerwartungen des Publikums bedienen. Ist es ein Zufall, fragt er, dass gerade jetzt der Handel mit Albino-Körperteilen deutlich zunimmt?

Das Wiederaufleben der Magie

Eine befriedigende Antwort darauf steht noch aus. Seit geraumer Zeit schon debattiert die Afrika-Forschung jedoch über den seit Jahren stetig wachsenden Hexereiglauben im nachkolonialen Afrika. In der Fachwelt besteht, wie zuletzt die Studie von James Howard Smith dokumentierte („Bewitching Development“. Witchcraft and the Reinvention of Development in Neoliberal Kenya, University of Chicago Press, 2008), weitgehend Einigkeit darüber, diese Entwicklung als Auseinandersetzung mit Prozessen sozialer Differenzierung zu deuten, welche durch die Entwicklung neuer Marktbeziehungen und die „Modernisierung“ von Wirtschaft und Gesellschaft hervorgerufen wurden. Hexerei in Afrika repräsentiert demnach nicht die hartnäckige Verweigerung von Wandel und Entwicklung, sondern markiert den Versuch, sich aktuellen Umwandlungsprozessen zu stellen und sie zu verstehen.

In vielen Teilen Afrikas hat der wirtschaftliche Wandel dazu geführt, dass die Hoffnung auf Besserung für die Mehrheit der Bevölkerung vergeblich blieb. Dies mündete in moralische Debatten, die häufig mit Kategorien des Okkulten und der Hexerei ausgetragen werden. Jahrelang enttäuschte Wünsche nach Land, Arbeit, besserem Wohnen und einem gerechten Anteil am materiellen Wohlstand haben das Wiederaufleben der Magie wie der Hexenjagd gefördert.

Das Geschäft mit den Organen

In Südafrika wird überdies das weltweit rapide wachsende Geschäft mit dem illegalen Handel von Körperteilen und Organen gut sichtbar. Hier geht es allerdings, anders als im Fall der ostafrikanischen Albinos, um die sich stark globalisierende Transplantationsmedizin. Einige Wissenschaftler zeichnen schon das düstere Bild einer gleichsam kannibalistischen kapitalistischen Weltordnung, in der die Armen gezwungen sind, ihre Organe anzubieten, weil selbst ihre Arbeitskraft nicht mehr gefragt ist („Commodifying Bodies“, hrsg. von Nancy Scheper Hughes und Loic Waquant. Sage Publishers, London 2002).

Auch im neuen Südafrika sind es vor allem reiche Weiße mit einer guten Krankenversicherung, die Zugang zu einer Transplantation haben. Und die Organe stammen entweder aus den staatlichen Leichenschauhäusern, wo sie in der Regel ohne die Erlaubnis von Familienangehörigen entnommen werden. Oder sie kommen von Lebendspendern, häufig aus Nachbarländern, die ihre Organe gegen Bares veräußern. Die Gerüchte in Südafrika nehmen zu, dass Menschen auch gezielt getötet werden, um deren transplantationsfähige Körperteile zu verkaufen. Die jüngsten Attacken gegen die Albinos in Tansania weisen demnach über das Schicksal dieser Bevölkerungsgruppe hinaus.
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Christianisierung
Sylvia Fox 1 (SylviaFox) - 08.04.2009 22:32
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Gegen fortschreitenden Hexenglauben und Zauberei etc. hilft wahrscheinlich vor allem eine verstärkte Christianisierung des Kontinents. In der Times Online war letztens ein interessanter Artikel von Matthew Parris zu diesem Thema. Hier zu lesen (englisch): http://www.timesonline.co.uk/tol/comment/columnists/matthew_parris/article5400568.ece Die Taten der Entwicklungshilfe lindern zwar die äußere Not, aber die Mentalität der Menschen wird durch die Annahme des christlichen Glaubens transformiert. Während die Haltung der Menschen durch Geister- und vielfältigen Aberglauben meist passiv und gruppenorientiert ist, befreit der christliche Glaube die Menschen zur Eigeninitiative, zur Offenheit und Neugier auf die Welt und zu einem individualistischeren Selbstverständnis.
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